Am Internationalen Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung am 6. Februar wird auf das Schicksal von Frauen und Mädchen aufmerksam gemacht, die von Genitalverstümmelungen betroffen oder davon bedroht sind.
Weltweit sind laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) ca. 200 Millionen Frauen und Mädchen aus 32 Ländern betroffen. Terre des Femmes spricht von schweren gesundheitlichen Folgen für Körper und Seele, einer irreparablen Schädigung der Frauen und Mädchen, insbesondere für ihre Sexualität, Komplikationen bei ihren Schwangerschaften und ihren Geburten.
Es gibt keine offiziellen Zahlen, wie viele von Genitalverstümmelung betroffene Mädchen und Frauen in Deutschland leben. Schätzungen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) zufolge leben 75.000 betroffene Frauen und geschätzt über 20.000 gefährdete Mädchen in Deutschland. Auch in Flensburg leben Frauen und Mädchen aus Herkunftsländern, in denen FGM/C zur gängigen Praxis gehört, weshalb das Thema auch für unsere Stadt relevant ist.
Um die Frauen gut beraten und medizinisch versorgen zu können sowie gefährdete Mädchen präventiv schützen zu können, haben sich engagierte Mitarbeiterinnen der Stadtverwaltung aus den Fachbereichen Jugend, Integration und Gleichstellung zusammengeschlossen und entwickeln mit Unterstützung der Beratungsstelle "TABU-Anlaufstelle FGM/C" der Diakonie Kiel erste konzeptionelle Ansätze.
Im Sommer 2020 hat der Fachbereich Jugend bereits mit einer ersten Fachtagung pädagogisches und medizinisches Personal aus Schulen, Kindertagesstätten und sozialen Einrichtungen sensibilisiert und über mögliche Handlungskonzepte informiert. In einem zweiten Schritt wurden im vergangenen Jahr die pädagogischen Fachkräfte des Fachbereichs Jugend in einer Inhouse-Fortbildung zum Thema FGM/C geschult. Für März ist ein Informationsaustausch für in Flensburg und im Kreis Schleswig-Flensburg tätige Gynäkolog*innen und Hebammen geplant.
Ein wichtiges Instrument im Kampf gegen FGM/C ist der von der Bundesregierung herausgegebene "Schutzbrief gegen weibliche Genitalverstümmelung". Den Akteurinnen vor Ort ist es wichtig, diesen in Flensburg und Umgebung zu verbreiten und möglichst viele betroffene Frauen und bedrohte Mädchen damit zu erreichen.
Um die Öffentlichkeit mit dem Thema zu erreichen hast sich die Carl von Ossietzky Buchhandlung bereit erklärt, zu kooperieren. Anlässlich des Internationalen Tages gegen FGM/C ein Schaufenster zum Thema gestaltet.
Das Thema ist im "Aktionsplan zur geschlechtergerechten Stadt" aufgenommen, in der Hoffnung Beratung- und Versorgungsangebote in Flensburg zu verbessern, die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren und Fortbildungen für Pädagogen und Verwaltungsmitarbeitende zu organisieren.
Elisabeth Gershoff: Kinder und Jugendliche sind im besonderen Maße auf den Schutz und die Fürsorge der Gesellschaft angewiesen. Um Mädchen vor dieser Menschenrechtsverletzung zu schützen und zu verhindern, dass sie ihr Leben lang unter den physischen und psychischen Folgen leiden müssen ist es unser Anliegen, durch Sensibilisierung aller Beteiligten und dem Aufbau professioneller, unterstützender Strukturen einen schützenden Rahmen für junge Mädchen zu schaffen.
Katja Jüngling : Uns ist es wichtig, dass es in Flensburg eine gute medizinische Versorgung und psychologische Beratung für betroffene Frauen gibt. Dies gelingt nur mit einer guten Vernetzung und einem regelmäßigen Austausch aller Beteiligten. Deshalb ist der fachliche Austausch mit Ärzt*innen, Hebammen und Psycholog*innen zur Versorgungssituation in Flensburg ein erster Schritt in die richtige Richtung – auch in Hinblick auf eine interkulturelle Öffnung der Fachdienste.
Verena Balve: Es ist eine große Herausforderung, betroffene Frauen zu erreichen - eigene Bewertungen sind unbedingt zurückzustellen. Es bedarf ein hohes Maß an Sensibilität und Respekt gegenüber anderen Kulturen. Ich bin mir sicher, dass wir mit unserem Ansatz in Flensburg erfolgreich sein werden.
Was kann getan werden um Mädchen vor einer Genitalverstümmelung zu schützen? Was kann getan werden, um betroffenen Frauen eine medizinische Versorgung anzubieten sowie soziale und rechtliche Unterstützung zur Seite zu stellen?
Für viele betroffene Frauen, die in Deutschland leben, ist es eine große Überwindung, sich medizinische Hilfe zu suchen. Oft sind ihnen die Zusammenhänge zwischen den aktuellen Gesundheitsproblemen und der viele Jahre vorher erlittenen Genitalverstümmelung nicht bewusst. Sprachbarrieren und Unkenntnis ihrer Rechte erschweren die Lage.
Von daher sind niederschwellige Angebote von großer Bedeutung. Viele Ärzt*innen haben zudem wenig bis gar keine medizinischen Kenntnisse über dieses Thema. Hier müssen Schulungen und Fortbildungen angeboten werden. Ebenso ist Kompetenzvermittlung an pädagogisches Fachpersonal, die mit Kindern arbeiten, ein wichtiger Ansatz.
Extra-Info-Kasten:
Die Abkürzung FGM/C steht für "Female Genital Mutilation/Cutting" und beschreibt die rituelle Beschneidung bei Mädchen und Frauen. FGM/C ist eine Menschenrechtsverletzung und ein Angriff in die körperliche Unversehrtheit.
Mit dem bundesweiten Schutzbrief gegen FGM/C informiert die Bundesregierung über die Strafbarkeit in Deutschland, auch wenn die weibliche Genitalverstümmelung im Ausland vorgenommen wird. Es drohen bis zu 15 Jahre Haft. Weiterhin wird über den möglichen Verlust des Aufenthaltstitels informiert. Durch diese konkreten Informationen sollen Familien auch auf Reisen davon abgehalten werden, eine Genitalverstümmelung an ihren Töchtern durchführen zu lassen.
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